Ich liebe dich
homo.net Info vom 30. April 2020
von Webmaster Jan
Der Kinostart von „Narziss und Goldmund“ hätte nicht unglücklicher gewählt werden können. Drei Tage später mussten alle Kinos schließen. Aus aktuellem Anlass wurde uns die drastische Darstellung der mittelalterlichen Pest wochenlang vorenthalten. Jetzt ist die Version für das Heimkino erschienen. In diesem Film ist das Mittelalter bunt, aber wohl auch so dreckig, dass man den Gestank fast physisch zu erfahren glaubt.
Der österreichische Regisseur und Oscar Preisträger Stefan Ruzowitzky (58) hat auch am Drehbuch mitgeschrieben. Sehr frei nach Hermann Hesse, war ihm Hollywood made in Europe wichtiger als die Literaturvorlage. Schon 1950 sah Hesse eine „nächste Zukunft“ voraus, in der die bewegten Bilder so mächtig und überwältigend geraten könnten, dass „kaum noch jemand imstande sein wird ein Buch zu lesen“. Testamentarisch widersetzte er sich deshalb der „Degradierung und Barbarei“ seiner Werke durch den Film. Den Erben ließ er allerdings eine Hintertür offen, „zu einer Zeit, wo ihr in Geldnot seid“.
Jetzt scheinen die Erben verarmt und wir haben den Salat. Da wird aus der philosophischen Erzählung über die Suche nach der Vollkommenheit, die Gegensätzlichkeit und die damit verbundene Verzweiflung zweier Freunde eine wilde, geile Teenager Party. Dazu der Regisseur: „Heute wäre das, was wir im Film sehen, ein Rave oder Ecstasy oder ein Künstlerloft.“
Homosexualität und der männliche Körper stehen bei Stefan Ruzowitzky im Mittelpunkt. Er liest bei Hesse zwischen den Zeilen von deren homosexueller Beziehung. Die überlese man angeblich in der Vorlage, weil Heerscharen von Deutschlehrern in gemeinsamer Konspiration die jungen Seelen vor dem Laster schützen würden und eifrig darüber weg interpretieren. In jedem Interview sagt er stereotyp dazu: „Es gibt im Buch einen großen, mehrseitigen Dialog und der letzte Satz davon ist: ‚Du träumst von Mädchen, ich träume von Jünglingen‘ - was eigentlich ein Coming Out ist, würde man heutzutage sagen.“
Liebe, auch die Körperliche, kommt in Hesses Erzählung exzessiv, prall und drastisch vor wie in kaum einem anderen Buch des letzten Jahrhunderts. Nur von Homosexualität habe ich absolut nirgends etwas entdecken können, auch nicht zwischen den Zeilen. Im Film dagegen wird ein schöner Mann und sein männlicher Körper in den Mittelpunkt gerückt. „Unterhaltungskino bedeutet halt auch, dass man seine Stars gut verkauft.“ meint der Regisseur. „Ich glaube, das hat viel damit zu tun, dass Homosexualität heutzutage nicht mehr so geächtet ist, dass alle schreiend davonlaufen.“
Nicht mehr so geächtet? Also nur etwas anders geächtet, dass nicht mehr alle schreiend davonlaufen? Ich glaube, es hat viel mehr damit zu tun, dass die Objektivierung der Frau im Film durch #metoo derzeit problematisch ist. Jetzt kommen die Schwulen dran.
Hermann Hesse beginnt und endet seine mittelalterliche Geschichte in der Klosterschule Mariabronn. Aus der Freundschaft des Novizen Narziß und des Schülers Goldmund wird eine lebenslange Liebe, bis dass der Tot sie scheidet. Narziß erkennt in ihm wie im eigenen Spiegelbild seinen Gegenpol und seine Ergänzung.
Größer können die Gegensätze der beiden kaum gezeichnet werden. Der bezaubernde, schöne Wunderknabe Narziß entwickelt sich vom hochbegabten Novizen zum begnadeten, väterlichen Abt des Klosters. Tadelloses Benehmen, Gelehrtheit und Scharfsinn begleiten den asketischen Mönch und Wissenschaftler auf seinem Weg zu Gott.
Der bildschöne Goldmund ist ohne Mutter und Geschwister bei einem gehässigen Vater aufgewachsen. Die Mutter hat vor langer Zeit die Familie verlassen und ist ins Ungewisse hinausgezogen. Auch er zieht in die Welt hinaus, liebt sich durch Waldboden, Heu und Betten von armen und Reichen Frauen, säuft, sündigt und mordet, wenn auch aus Notwehr. Der „Ruf der Mutter“, einer Tänzerin und Männerverführerin, treibt ihn an. Er wird Bildhauer, wird zum vollendeten Künstler mit seinem Meisterstück, einer Johannes Figur nach dem Vorbild seines Jugendfreundes Narziß.
Seine Liebschaft mit der schönen Geliebten des Statthalters wird ihm zum Verhängnis. Er wird zum Tode verurteilt. Der Abt, bei dem er seine letzte Beichte ablegen darf, ist sein alter Freund Narziß. Durch dessen Fürsprache wird der Sünder begnadigt und die beiden Freunde kehren gemeinsam in das Kloster zurück.
Künstler und Wissenschaftler, Lebemann und Asket, Sünder und Gottesmann teilen ihre unendliche Liebe für einander, für die Kunst und für die Wissenschaft. Bei Goethe ruft Faust im Monolog aus: „Zwei Seelen wohnen, ach! In meiner Brust.“ Die derbe Liebeslust klammert sich bei Faust an die Welt während der Geist sich gewaltsam aus dem Staube erhebt. Hermann Hesse vereint in unsterblichen Dialogen diese Gegensätze zu einer großen, narzisstischen Liebe.
Nein, lieber Stefan Ruzowitzky, mit Homosexualität hat das nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun. Und wenn Du schon in jedem Interview Hesse zitieren musst, dann mindestens korrekt. Oder hast Du Angst vor dem Wort „Knaben“ als Vorwand für Deine platte, schwule Sicht der Dinge? Hier also die wesentlichen Ausschnitte aus dem Originaldialog wie ihn Hesse wirklich gedichtet und gemeint hat:
„Gewiß“, sprach Narziß weiter. „Die Naturen von deiner Art, die mit den starken und zarten Sinnen, die Beseelten, die Träumer, Dichter, Liebenden, sind uns anderen, uns Geistmenschen, beinahe immer überlegen.“ Und später dann, keineswegs den Dialog abschließend: „Eure Gefahr ist das Ertrinken in der Sinnenwelt, unsere das Ersticken im luftleeren Raum. Du bist Künstler, ich bin Denker. Du schläfst an der Brust der Mutter, ich wache in der Wüste. Mir scheint die Sonne, dir scheinen Mond und Sterne, deine Träume sind von Mädchen, meine von Knaben ...“.
An den drei Punkten, trefflich von Hesse gesetzt, entzünden sich jetzt die sexuellen Phantasien von Ruzowitzky. Goldmunds Reaktion auf die letzten Worte könnten nicht heftiger sein. Nur verheimlichen die drei Punkte bei Hesse keineswegs wilde Träume von Knabenlust und Liebe. Sie bedeuten lediglich, dass noch weitere, unbedeutendere Vergleiche dieser narzisstischen, rednerischen Selbstberauschung folgen.
Das wesentliche hat Hesse da bereits gesagt. Es ist nicht die Knabenliebe sondern die Brust der Mutter, deren Erinnerung Goldmund im Folgenden fast zusammenbrechen lässt. Sie treibt ihn in die Welt hinaus, zu Abenteuern, Künstlertum und weltlichen Exzessen.
Wenige Tage später verabschiedet er sich von seinem Freund und Mentor traurig und doch glücklich im Gefühl ihrer unzerstörbaren Freundschaft: „Ach, Narziß, ich muß dich verlassen! Ich liebe dich, Narziß.“ Das ist Liebe, wie sie Platon im Symposium beschrieben hat und die wir auch heute noch platonisch nennen.
Lesen dauert zwar länger als 110 Minuten Buntfilm, ist aber hier das fraglos größere Vergnügen. Wer das Buch kennt, sollte sich die eigenen Bilder im Kopf durch den Film nicht zerstören lassen. Und wer das Buch nicht kennt, jetzt wird es aber Zeit ...
Verliebt in Narziß und Goldmund,
Jan
Webmaster
vom homo.net Team